Bürokratie, Umweltschutzauflagen und die Lkw-Maut machen der Logistikbranche schon jetzt schwer zu schaffen. Zum 1. Dezember wird sich die Lage nochmals drastisch verschärfen, denn dann erhöht sich die Lkw-Maut wegen des zu berappenden CO2-Aufschlags massiv. Im Interview mit stahl. stellt Marcel Hergarten, Inhaber der zweitgrößten deutschen Spezial-Spedition für Stahl klar, warum das zu einer Pleitewelle in der Branche führen wird, wenn Berlin nicht gegensteuert.
stahl.: Wegen des geplanten CO2-Aufschlags von 200 Euro pro Tonne wird sich die Lkw-Maut für Transportunternehmen, die überwiegend mit Diesel-Lkw speditieren, zum 1. Dezember nahezu verdoppeln. Welche Auswirkungen hat das auf die Branche?
Hergarten: Die Situation ist prekär. Fakt ist, wir haben jetzt bereits in den letzten drei Jahren einmal wegen der stark gestiegenen Kosten, vor allem aber auch wegen des Personalmangels bewusst unseren Umsatz konsolidiert. Dazu haben wir uns verstärkt auf diejenigen Kunden konzentriert, die uns gegenüber auch klar zum Ausdruck bringen, dass sie unseren Service und die Zusammenarbeit mit uns schätzen und auch adäquat dafür zu zahlen bereit sind.
stahl.: Wie war es früher?
Hergarten: Früher waren wir überwiegend wachstumsorientiert mit unseren Neukunden unterwegs und haben dabei auch mal kräftig investiert. Heute wägen wir dagegen sehr genau ab, ob wir einen Auftrag annehmen sollten oder nicht: Sind wir überhaupt kosten- und kapazitätstechnisch dazu in der Lage, das Geschäft mit dem Kunden verlässlich und in gewohnter Qualität zu betreiben oder riskieren wir langfristig unseren guten Ruf, weil uns schlicht und ergreifend die Fahrerinnen und Fahrer fehlen.
stahl.: Und diese Situation verschärft sich weiter, auch für die anderen Speditionen?
Hergarten: Ja, sie verschärft sich weiter. Für alle anderen auch. Wir sind beileibe kein Einzelfall.
stahl.: Wie begegnen Sie der sich verschärfenden Situation?
Hergarten: Mit verschiedenen Instrumenten haben wir es geschafft, die Flottengröße, die wir vor vier oder fünf Jahren hatten, beizubehalten. Wir hatten 2021 schon eine fluktuationsbedingte Engpass-Situation, u.a. weil überdurchschnittlich viel Personal in Rente gegangen ist. Da war schnell klar, dass wir, um Mitarbeiter zu gewinnen aus allen Rohren schießen müssen – etwa auch beim Social Recruiting. Andernfalls würde es dramatisch eng.
stahl.: Waren Sie damit so erfolgreich wie erhofft?
Hergarten: Am Ende immerhin so gut, dass wir jetzt wieder eine Quote von etwa 1,2 Fahrern/Fahrerinnen pro Lkw erreicht haben. Die benötigt man um einen Laden wie den unseren am Laufen zu halten.
stahl.: Ideal wäre ein Wert von 1,5?
Hergarten: Nein, 1,2 ist schon eine gute Quote, aber der Weg dahin in den vergangenen zwei Jahren war mit sehr viel Mühe und hohen Kosten verbunden. Im Jahr 2021 hatten wir eine Quote von nahezu 1,0, also eine 1:1Situation.
stahl.: Was für Konsequenzen hätte es gehabt, wenn Sie das nicht geschafft hätten?
Hergarten: Dann hätten wir unsere Flotte entsprechend verkleinern müssen.
stahl.: Und das wäre so ohne Weiteres gegangen?
Hergarten: So ein Vorhaben ist schon kurz- bis mittelfristig realisierbar, weil die Leasingverträge meistens drei oder vier Jahre laufen und ja auch nicht alle Fahrzeuge zur gleichen Zeit geleast wurden.
stahl.: Müssen jetzt nicht sowieso alle Spediteure Ihre Flotten neu strukturieren, sprich sukzessive auf grün, auf Elektro, E-Fuels oder Wasserstoff/Brennstoffzelle umrüsten? Insbesondere angesichts der stetig steigenden und mit der CO2-Abgabe gekoppelten Lkw-Mautgebühren?
Hergarten: Den meisten von uns schweben E-Fuels und die Wasserstoff-Brennstoffzelle als beste grüne Lösung vor, weil sich dabei auch die nötige Infrastruktur viel schneller realisieren lässt. Da spielt uns nur die Regierung einen Streich, indem sie einen Energieträger einseitig sponsert und begünstigt.
stahl.: Das heißt, die Strategie, nur auf Elektro zu setzen ist für Sie beim Lkw-Verkehr nicht zielführend?
Hergarten: Es ist nicht nur nicht zielführend, es ist auch noch schizophren.
stahl.: Inwiefern?
Hergarten: Am besten wird das am Beispiel der Mauterhöhung klar. Die ist so unverhältnismäßig hoch, dass sich die Laderaumverknappung trotz Rezession in Kürze nochmals dramatisch steigern wird, weil einige Betriebe nicht überleben werden. Sie werden die Mautkosten nicht alle auf ihre Kunden umlegen können.
stahl.: Die Maut als Speditionskiller?
Hergarten: Das muss man leider so sagen. Bei uns zum Beispiel verursacht die Mautgebühr dieses Jahr Kosten in Höhe von 1,8 Millionen €. Der Betrag wird sich nächstes Jahr dann ungefähr verdoppeln. Mit dieser Strategie will man unsere Branche dazu motivieren auf Elektromobilität umzusteigen. Das Ziel wird dabei jedoch völlig verfehlt.
stahl.: Weil…?
Hergarten: Weil es derzeit überhaupt keinen Sinn macht, denn es ist ja überhaupt noch keine Infrastruktur vorhanden. Wie soll ich als Spediteur auf Elektromobilität umsteigen, wenn es noch nicht einmal in Ansätzen eine Infrastruktur dafür gibt? Stellen wir uns mal vor, ich schaffe mir zehn eTrucks an und muss die alle gleichzeitig laden. Was meinen Sie, was hier dann im Industriegebiet Neuss-Holzheim los ist? Und ich bin ja nicht der Einzige, der die Infrastruktur bräuchte.
stahl.: Das heißt, Lkw-Elektromobilität existiert bis auf Weiteres lediglich im Phantasialand?
Hergarten: Ja, bis das konkret wird, wird das noch Jahre dauern. In der Zwischenzeit muss ich mangels Alternative leider weiter mit extrem teuer besteuerten fossilen Kraftstoffen meine Lkw fahren. Das ist für uns Spediteure ein echter Schildbürgerstreich, der am Ende so manchen von uns in den Ruin oder zumindest an den Rand des Ruins treiben wird. Die Idee der Elektromobilität ist im Güterverkehr noch völlig unausgereift, aber wir sollen als Branche die Zeche zahlen. Im Grunde ist es eine versteckte Steuereinnahme, um Haushaltslöcher an anderer Stelle zu stopfen und obendrein wird damit auch noch die Inflation angeheizt.
stahl.: Sie rechnen demzufolge mit einer Pleitewelle?
Hergarten: Ja, die steht uns jetzt ganz sicher ins Haus. Wie viele es erwischen wird, kann natürlich niemand sagen, aber es wird definitiv Pleiten geben. Wir sind ja ohnehin eine seit Jahren gebeutelte Branche. Die Umsatzrenditen bewegen sich bei uns oftmals nur bei 1,5 bis zwei Prozent. Das heißt, für viele geht es jetzt durch die Maut endgültig ans Eingemachte. Bei alledem muss die Frage Richtung Berlin erlaubt sein: Das ist doch wohl hoffentlich nicht am Ende sogar politisch erwünscht?
stahl.: Wie kann die Pleitewelle abgewendet werden?
Hergarten: Wir brauchen jetzt zunächst einmal einen Schulterschluss mit den Kunden. Diese müssen verstehen, dass ihnen das schönste Lager mit dem besten Material nichts nützt, wenn es keine Spediteure mehr gibt, die das Material ausliefern und von A nach B fahren.
stahl.: Woran hapert es beim Verständnis?
Hergarten: Bei den Kunden herrscht inzwischen durchaus auch die nötige Sensibilität und Einsicht, hier aktiv werden zu müssen. Es hapert aber an der Umsetzungsgeschwindigkeit. Es geht alles viel zu langsam.
stahl.: Das heißt auf Kundenseite wird der Ernst der Lage noch nicht wirklich erkannt oder ist es am Ende nur taktisches Kalkül, erst mal auf Zeit zu spielen?
Hergarten: Das ist der springende Punkt. Die Stahlindustrie versucht immer noch die Dramatik des Geschehens, den Ernst der Lage herunterzuspielen und will mit blumigen Farben übertünchen, welcher Gefahr sie ja auch selbst ins Auge sieht.
stahl.: Wie sieht die Gefahr konkret aus?
Hergarten: Die große Gefahr, die hinter der Lkw-Mauterhöhung lauert, ist, dass die Kunden von ihren Spediteuren reihum jetzt irgendwann gesagt bekommen werden, dass sie aus Gründen der Wirtschaftlichkeit keine Aufträge mehr von ihnen annehmen können. Im Klartext: Wenn auf Kundenseite nicht bald einmal grundlegend anerkannt wird, dass wir hier eine massive verkappte Steuererhöhung via CO2-Umlage aufgebrummt bekommen haben und dass wir diese erhöhten Aufwände an den Kunden weitergeben müssen, dann kann es ganz schnell zu englischen Verhältnissen kommen.
stahl.: Soll heißen?
Hergarten: Ganz einfach: Es wird leere Regale wie in England zu Zeiten des Brexit-Beginns geben. Vielleicht werden wir eben nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit überall problemlos tanken können. Oder wir werden in gewisser Weise damit leben lernen müssen, dass wir rationiert werden. Möglicherweise braucht es jetzt aber auch erst einmal diese bittere Erfahrung, damit sich etwas grundlegend ändert.
stahl.: Was muss von politischer Seite getan werden?
Hergarten: Wir brauchen als Erstes endlich eine Einwanderungspolitik, die den Namen auch verdient. Es muss dringend jetzt mal ein neues, langfristiges Denken, ein echter Marshallplan her. Mit dieser kurzfristigen Einwanderungs-Flickschusterei von Legislaturperiode zu Legislaturperiode kommen wir nicht mehr weiter. Wir brauchen ähnlich wie in der Nachkriegszeit, als wir gezielt Gastarbeiter ins Land geholt haben, einen echten gesellschaftlichen Konsens darüber, wie wir mit welcher langfristigen Einwanderungs-Strategie dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
stahl.: Zweitens?
Hergarten: Entbürokratisierung. Das heißt in unserer Branche zum Beispiel: Führerscheine, die in Kroatien oder auf den Philippinen gemacht wurden, sind ungültig. Das heißt, wer dort seinen Führerschein gemacht hat, muss bei uns wieder komplett bei Null anfangen. Bis jemand bei uns die Fahrerlaubnis bekommt, sind mit allem Drum und Dran rund 10.000 € zu investieren. Das ist ein Unding. Davon abgesehen dauert der ganze Prozess zu lang und ist viel zu umständlich.
stahl.: Ist nicht auch die Sprache ein großes Hindernis?
Hergarten: Ja, auch da muss natürlich investiert werden. Da sage ich aber inzwischen ganz klar: Wir müssen mal die Kirche im Dorf lassen. Wenn Sie irgendwo in Holland oder Skandinavien einen Kaffee bestellen, bestellen Sie den auf Englisch und bekommen den dann auch geliefert. Das ist doch inzwischen selbstverständlich. Nur wir in Deutschland bestehen immer noch eisern darauf, dass bei uns unbedingt Deutsch gesprochen werden muss.
stahl.: Sie sagen voraus, dass der wachsende Fachkräftemangel uns jetzt ganz schnell zum Umdenken zwingen wird?
Hergarten: Das ändert sich in der Tat alles gerade sehr schnell. Im Moment haben wir noch einen Anteil von deutschen Muttersprachlern unter unseren Fahrerinnen und Fahrern von 60 Prozent, sprich 40 Prozent sind nicht Muttersprachler. Das sind vorwiegend Polen, Tschechen, Rumänen oder Mitarbeiter aus den sogenannten Balkanstaaten. Es ist aber klar, wohin die Reise geht: Mittelfristig gehen wir davon aus, dass wir bald bei 50:50 und schnell auch bei 40:60 sein werden. Langfristig werden wir dann wohl irgendwann bei einer Konstellation landen, bei der wir einen Anteil von nur noch 20 Prozent Muttersprachler haben werden.
stahl.: Was heißt das für Ihr Liefer- und Service-Angebot?
Hergarten: Das bedeutet, dass wir den Kunden zunehmend werden sagen müssen: Den und den Service können wir jetzt nicht mehr leisten, das ist in Zukunft jetzt wieder ganz klar Euer Part. Zum Beispiel, dass Ihr unseren Fahrern genau sagen müsst, was sie wie und wo im Lager in welcher Reihenfolge abzuladen haben. Ihr dürft nicht mehr erwarten, dass unsere Fahrer Euch das Material automatisch auch noch mit dem Gabelstapler passgerecht ins Regal legen. Das können wir – bessere Vergütung hin oder her – künftig einfach nicht mehr leisten.