„50 Jahre Stahllogistik“ oder „Was hindert uns daran, schlauer zu werden?“

Zum Dienstjubiläum wagt Geschäftsführer Josef Hergarten sowohl einen Blick zurück als auch einen nach vorne

Beeindruckende 50 Jahre lang leitet Josef Hergarten nun schon erfolgreich die Geschicke der Hergarten Gruppe – seit 2007 gemeinsam mit seinem Sohn Marcel Hergarten. Im Interview blickt er mit jeder Menge Erfahrung und kölsche Humor zurück auf die Entwicklung seines inzwischen bundesweit an neun Standorten operierenden Unternehmens und einer Branche, die sich gerade mal wieder neu erfinden muss. „Gut so“, kommentiert der 67-Jährige das. Nicht überraschend, denn gut überlegte Veränderungen gehörten schon immer zu seinem Erfolgsrezept.

Redaktion: Wir gratulieren herzlich zum 50. Dienstjubiläum! Als Sie in das Fami-lienunternehmen eingestiegen sind, waren Sie 17 Jahre alt. Haben Sie da nicht mal mit dem Gedanken gespielt, beruflich andere Wege einzuschlagen?

JH: Ich spielte mit dem Gedanken Sport und Geschichte zu studieren. Viele meiner Schulkameraden entschieden sich für klassische Ausbildungen bei der Stadt oder der Sparkasse. Aber mir wurde schnell klar, dass die Verdienstmöglichkeiten und die Mög-lichkeiten etwas zu bewegen, in jedem Fall überschaubar waren. Mein Großvater genoss zu diesem Zeitpunkt in der Speditionsbranche bereits einen hervorragenden Ruf. Mir wur-de bewusst, dass darin auch eine große Chance für mich lag. Zunächst startete ich in unserem Familienbetrieb, der damals einen Fuhrpark aus sechs Fahrzeugen umfasste, ebenfalls sehr klassisch als Mädchen für alles im kaufmännischen Bereich.

Redaktion: Was änderte sich als Sie 1990 dann die Geschäftsleitung übernahmen?

JH: Ich wollte unbedingt expandieren und moderner werden. Als erstes habe ich die Zah-lung von Weihnachtsgeld, eine Weihnachtsfeier und eine tägliche Arbeitszeit von max. 12 Stunden für alle Mitarbeiter eingeführt. Was unser Kerngeschäft anging, beobachtete ich andere Systemspediteure und sah in der Spezialisierung auf Stahltransporte unsere große Chance. Gleichzeitig hatte ich riesigen Respekt vor dem Job wegen der großen Ab-hängigkeit von den Verladern und den konjunkturellen Schwankungen. Zum Glück war ich damals mutig genug und konnte auf meinen Riecher vertrauen. Immerhin haben wir ja heute ca. 180 LKW am Start, sechs Niederlassungen im Eigenbesitz mit insgesamt ca. 30.000 qm Lagerfläche und mehr als 300 Mitarbeiter. Außerdem führten wir als eines der ersten Unternehmen unserer Größe eine PC gestützte Abrechnung ein. Wenn Sie beden-ken, dass eine Entfernungsermittlung teilweise Minuten benötigte, weil man in drei Nach-schlagewerken die einzelnen Ortsmittelpunkte ermitteln musste, dann war der PC, der 40.000 Orte vorhielt und in Sekundenschnelle eine Rechnung erstellte, einfach sensatio-nell. Auch hier war ich glücklicherweise vehement genug. Aus heutiger Sicht erkenne ich hier durchaus Parallelen zu meinem Sohn Marcel, der die Digitalisierung mit den heutigen Möglichkeiten mindestens genauso vehement nach vorne treibt.

Redaktion: Haben Sie in den 50 Jahren jemals mit dem Gedanken gespielt, sich vom Stahl zu trennen und andere Logistikgüter ins Geschäft aufzunehmen?

JH: Nein! Weil Stahl meiner Meinung nach ein Segment war und ist, in dem man als Transportpartner nicht der Beliebigkeit seiner Auftraggeber ausgeliefert ist. Wir haben schnell erkannt, dass Stahlhandelsunternehmen in ihren Grundstrukturen alle ähnlich und zunächst ohne Rücksicht auf logistische Prozesse organisch gewachsen sind. Wir konnten vergleichen und damit bestehende Prozesse und die Effektivität in Frage stellen und verbessern. Uns wurde bei dieser Arbeit zunehmend klar, wieviel Potenzial sich erschließt, wenn der Logistiker in die Produktionskette eingebunden wird und auf beiden Seiten eine IT-Affinität besteht. Diese Erfahrung ist für uns heute noch richtungsweisend. Allerdings müssen wir auch heute manchmal noch Überzeugungsarbeit an dieser Stelle leisten. Das tun wir aber inzwischen auf Augenhöhe. Wir sind ein prägender und anerkannter Faktor der Wertschöpfungskette geworden. Das ist eine ganz andere Verhandlungsbasis. Auf Grund unserer IT-Kompetenz werden wir fast immer in die Warenwirtschaftssysteme der Kunden mit eingebunden. Früher war das für viele Kunden nur ein notwendiges Übel.

Redaktion: Auf welche Meilensteine schauen Sie mit Stolz zurück?

JH: Wir haben vor 25 Jahren für einen Verlader ein Logistikkonzept erstellt, das für die damalige Zeit im Stahlhandel eine Revolution bedeutete. „Outsourcing“ hieß das Zauber-wort. Eine Versandstruktur mit zwei Dutzend Versandgebieten und noch mehr Transport-unternehmern wurde aufgelöst und ein großes Ganzes daraus geformt. Mit einem An-sprechpartner, einer Abrechnungsgrundlage und optimierten Transportwegen. Das war der wichtige Schritt in die Stahldistributionslogistik, auf den ich bis heute stolz bin. Ich wollte durch gezielte Dienstleistung immer mehr bieten können als andere. Seitdem arbeiten wir mit Nachdruck daran, uns mit einem Full-Service-Angebot von Wettbewerbern abzuheben – angefangen beim Lagern und Umschlagen von Stahlblöcken bis zu 20 Tonnen Gewicht, über die Be- und Anarbeitung sowohl großer Gussteile als auch anderer Stahlabmessungen bis zur Kommissionierung und Versendung des Materials. Heute haben wir zum Beispiel in Süddeutschland für einen der führenden Stahlhandelshäuser bei uns einen kompletten Produktbereich integriert. Darin sehe ich die Zukunft des Stahlhandels. Außerdem nimmt auch in unserer Branche die „Amazonisierung“ zu. Schnelligkeit, Zuverlässigkeit und Flexibilität sind die Erfolgsfaktoren der Zukunft. Um diese umzusetzen, müssen sich sowohl die Stahlhändler als auch die Logistikdienstleister auf das be-schränken, was sie wirklich gut können und eine vertrauensvolle Partnerschaft miteinan-der eingehen.

Redaktion: Das klingt nach einem erfolgreichen Durchmarsch. Gab es auch Krisen?

JH: Natürlich. Die schwierigste Phase erlebten wir als unser damals tragender Kunde uns mit sehr unfairen Mitteln an den Rand des Scheiterns gedrängt hat. Er nutzte unsere dort implementierten Systeme einfach um dann mit eigenem Personal einzusteigen. Da wurde es verdammt eng für uns und wir mussten uns trotz dieser menschlichen und geschäftli-chen Enttäuschung gemeinschaftlich ganz bewusst auf unsere eigenen Kräfte besinnen und einfach weitermachen. Letztlich hat sich der kölsche Spruch „Nichts ist so schlecht, das es nicht auch was Gutes hat“ mal wieder bewahrheitet. Wir haben diese Phase ge-nutzt, um uns selbstbewusst zu diversifizieren, das Projekt unseres Kunden ist schließlich kläglich gescheitert und er ist seinerzeit vollumfänglich zu uns zurückgekehrt. Eine wichti-ge Erfahrung und die Grundlage für die Erfolgsstory der letzten zehn Jahre.

Redaktion: Und die Coronakrise?

JH: Verlief dazu im Vergleich geschäftlich gesehen für uns viel weniger dramatisch. Auf-grund der frühzeitigen Reaktion und den damit verbundenen Maßnahmen meines Sohnes und seiner Führungscrew hat Corona lediglich einen überschaubaren Schaden angerichtet. Auch hier hat übrigens unsere frühe Digitalisierungsstrategie einen großen Beitrag geleistet.

Redaktion: Sind Sie mit den Jahren in Krisensituationen gelassener geworden?

JH: Unbedingt, denn es wiederholt sich alles im Leben. Manchen Menschen begegnet man nicht nur zweimal im Leben und wenn man dann immer miteinander anständig um-gegangen ist, dann wird einem auch in schwierigen Phasen geholfen. „Mensch bleiben und sich immer in die Situation des Gegenübers versetzen“ – das ist so eine Art Arbeits- und Lebensmotto von mir. Und natürlich das lebenslange Lernen bzw. frei nach Adenauer: Was hindert mich daran schlauer zu werden?

Redaktion: In welchen Bereichen sind Sie heute noch bei Hergarten tätig?

JH: Ich bin sehr froh, stolz und damit auch beruhigt, dass mein Sohn das Unternehmen übernommen hat. Daher bemühe ich mich – soweit es meinem Naturell gelingt – mich weitestgehend aus dem operativen Geschäft herauszuhalten. Ich sehe meine Aufgaben in den Bereichen der Anlagenbeschaffung, Betreuung einer ausgesuchten Klientel und dem Mitgestalten unserer Zukunftsstrategie.

Redaktion: Und Ihre eigenen Zukunftspläne?

JH: Nur noch das tun, was mir Spaß macht. Und wenn die Mitarbeiter bei meinem Kom-men in die Luft schauen, dann aufhören.

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