Folgen des Ukraine-Krieges bedrohen Stahllogistik

Die Hergarten Gruppe baut weiter auf einen konstruktiven Dialog mit der Stahlindustrie – aber schnell muss es gehen.

Als Marcel Hergarten, Geschäftsführer der Hergarten Gruppe, vor vier Monaten angesichts massiver Lieferengpässe, eines gravierenden Fachkräftemangels und steigender Klimaschutzkosten in einem Interview eindringlich an die Kooperationsbereitschaft der Stahlindustrie appellierte, ahnte er noch nicht, dass ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine die ohnehin schon angespannte Situation der Logistikbranche von heute auf morgen rasant weiter verschärfen würde. Und zwar so extrem, dass viele mittelständische Unternehmen schon jetzt um ihre Existenz bangen. Damals sagte er, es sei fünf vor zwölf, heute steht der große Zeiger aus Sicht von Marcel Hergarten bereits auf zwei vor zwölf. In Kürze würden aufgrund der neuen Krise weitere Logistikunternehmen ihr Geschäft einstellen müssen und damit aus dem Markt ausscheiden. Es drohen einbrechende Lieferkapazitäten, die auch unmittelbar für den Endverbraucher spürbar seien. „Daran ändern auch die jüngst von der Koalition eingeführten 14 Cent Rabatt auf Diesel nichts. Meiner Meinung nach gibt es nur einen Weg aus dieser Misere. Und das ist derselbe, den ich schon vor Monaten aufgezeigt habe“, so Hergarten.

Dieser Weg führe über die Veränderungs- und Kooperationsbereitschaft der Stahlindustrie, weiter über strategische Partnerschaften bis zur gemeinsamen Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle zwischen Stahlunternehmen und Logistikpartnern wie die Hergarten Gruppe. „In jedem Fall führt er weg von rein preisgetriebenen Entscheidungen für oder gegen eine Zusammenarbeit. Denn dass die Preise für unsere Dienstleistungen steigen werden, ist in Anbetracht der Lage im Osten Europas noch einmal frappierend klar geworden,“ betont Hergarten.

Fakt ist: Die in neue Sphären geschossenen Dieselpreise und Energiekosten brechen den mittelständischen Logistikunternehmen zunehmend das Genick. Bei der Hergarten Gruppe sind glücklicherweise fast alle Kunden an ein Dieselfloater-Modell gebunden, bei dem der Kraftstoffzuschlag sich in einem bestimmten Rhythmus automatisch an die Entwicklung des Kraftstoffpreises anpasst. So auch im März 2022, wo er wöchentlich entsprechend der sehr dynamischen Entwicklung geändert wurde. Für Erleichterung sorgt das aber nur kurzfristig. Denn zusätzlich sind auch Fahrerlöhne sowie die direkten und indirekten Transportkosten zum Jahresbeginn 2022 dramatisch gestiegen.  Z. B. Adblue zur Reduzierung der Stickoxidemissionen (+100%), Treibgas für den Lagerumschlag (+15%), LKW-Neuanschaffungen (+12%), Ersatzteil-Preise (+12%) und die Stundenverrechnungssätze der Fachwerkstätten (+4%).

„Die Endverbraucher werden diese dramatischen Entwicklungen im Transportsektor zunehmend durch etliche Preiserhöhungen zu spüren bekommen. Die 14 Cent Rabatt auf den Liter Diesel kann den Endverbrauchern gar nicht die erhoffte Entlastung bringen. Bei durchschnittlich 100 Liter pro zugelassenen PKW (aktuell ca. 67 Millionen Fahrzeuge) und Monat kann der Durchschnittsbürger gerade einmal 14 Euro im Monat sparen. Wem hilft das wirklich weiter? Die 937 Millionen Euro, die der Staat monatlich für diesen Minimaleffekt ausgibt, wären deutlich besser investiert gewesen, wenn die Summe den zugelassenen LKW zugeteilt worden wären. Dies wären etwa 300 Euro pro LKW monatlich – das hätte auch den Bürgern wahrscheinlich mehr Entlastung gebracht als letztendlich die steigenden Energiekosten über Produktpreise in allen möglichen Warensegmenten refinanzieren zu müssen“, ärgert sich der Geschäftsführer der Hergarten Gruppe.

Erschwerend kommt hinzu, dass Fachkräfte aus der Ukraine und Polen, die über Subunternehmen für deutsche Unternehmen wie Hergarten im Einsatz sind, aufgrund der Kriegssituation fehlen und damit nochmals die ohnehin schon knappen Laderaumkapazitäten am deutschen Frachtmarkt weiter stark reduzieren. „Sechs Prozent aller deutschen Binnentransporte wurden bisher von ukrainischen Fahrern durchgeführt“, verdeutlicht Marcel Hergarten die Situation.

Erste zaghafte Schritte sind gemacht

Trotzdem gibt es auch Grund zur Hoffnung, dass Bewegung in die Sache kommt. Mit seinen klaren Worten in der Presse ist es Marcel Hergarten bereits gelungen, einen vielversprechenden Dialog zwischen Stahlindustrie und Logistik anzustoßen. So hatte er z. B. auch zu einem Expertennetzwerk eingeladen um in Form von strategischen Partnerschaften gemeinsam konkrete Lösungen auf den Weg zu bringen. „Die Resonanz war zunächst sehr positiv“, berichtet Marcel Hergarten von den Tagen nach der Veröffentlichung. Das rundum aufgeschlossene Feedback erreichte das Unternehmen sowohl aus der eigenen Kundschaft – den Stahlherstellern und -händlern – als  auch von Wettbewerbern und damit von potenziellen, strategischen Logistikpartnern. „Es ist uns mit dem Interview definitiv gelungen zu sensibilisieren. Die mittelständischen Logistikunternehmen zeigten sich erleichtert, dass ihre Perspektive und ihre Herausforderungen einmal so deutlich benannt wurden. Und ich freue mich sehr darüber, dass auch einige Vertreter der Stahlbranche sich nicht angegriffen fühlten, sondern im Gespräch sofort mehr Verständnis für die im Interview aufgezeigten Zukunftsentwicklungen entwickelten“, berichtet Hergarten von den Gesprächen. Das Interview habe die Problematik aller Seiten auf den Punkt gebracht und damit einen wichtigen Beitrag dafür geleistet, dass zukünftig Geschäftsbeziehungen mit Logistikdienstleister hoffentlich eben nicht mehr einzig aus kostengetriebenen Gründen beendet oder fortgesetzt würden.

Güter nur von A nach B bringen – das war einmal

Full-Service-Logistikdienstleister wie die Hergarten Gruppe bieten ihren Geschäftspartnern nämlich nicht nur den reinen Transport ihrer Güter von A nach B, sondern unterstützen die Industrie dabei, Logistikprozesse effizienter zu gestalten und die dafür notwendigen, übergreifenden Organisationsstrukturen zu schaffen. Ein Mehrwert, der seinen Preis hat. „Und ein Service, der in Anbetracht der großen Herausforderungen der Stahlbranche nahezu unverzichtbar ist“, betont der Geschäftsführer der Gruppe.

Die Hergarten Gruppe selbst hat bereits Ende des letzten Jahres damit begonnen, ihre Aktivitäten zu einigen Teilaspekten konsequent zu verstärken. So ist sie z.B. dabei das Recruiting von Fachkräften systematisch zu professionalisieren. Der Ansatz, die Kosten für Logistikdienstleistungen anzuheben, dafür aber kürzere Preisbindungszyklen zu vereinbaren, steht derzeit ebenfalls im Fokus der Hergarten Gruppe, weil damit auf Seite der Stahlbranche Kostenoptimierungsprozesse vielversprechend stabilisiert werden könnten. „Alles Themen, die auch unsere Gesprächspartner bewegen und zu denen wir

wo möglich Synergien schaffen könnten. Wir freuen uns nach wie vor über jeden, der mit uns in den Dialog gehen möchte und unser Interesse an ressourcenschonenden, wertschöpfenden Aktivitäten und Lösungen teilt“, so Initiator Marcel Hergarten.

Tiefgreifender Wandel in der Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehung

Dass es viel zu tun gibt und alle ihre Komfortzone verlassen müssen – daran gibt es laut Hergarten absolut keinen Zweifel mehr. Aber jetzt müsse es auch noch sehr schnell gehen. „Putins Krieg wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die herausfordernde Situation der Stahl- und Logistikbranche. Denkweise und Methodik hätten sich bisher im Logistik-Management der Branche noch nicht konsequent genug weg von Kostensenkungsprogrammen hin zu nachhaltiger Versorgungssicherheit und Stabilität in punkto Transport und Logistik entwickelt. „Ich beobachte vor allem in konzerngebundenen Handelsunternehmen wenig Bewegung. Der Mittelstand im Logistik- und Stahlsektor zeigt sich derzeit besonders aufgeschlossen und flexibel“, greift Hergarten die großen Themen seine Kick-Offs-Interviews erneut auf. Der gesamte Stahlhandel beanspruche nach wie vor sehr seine Führungsrolle als Treiber der Volkswirtschaft. „Im Jahr 2021 erzielte der Stahlhandel enorme Gewinnsteigerungen. Damit wurden die akuten und die absehbaren Probleme in der rollenden Logistik quasi überschminkt“, sagt Hergarten. Diese getrübte Sicht auf die akuten Schwierigkeiten der Transportlogistik behindere daher an einigen Stellen noch den absoluten Willen zur Entwicklung von strategischen Lösungen, die mittel- und langfristig die Lieferketten auf der letzten Meile der Stahldistribution sichern. Aus Sicht des 41-Jährigen werden am Ende die Unternehmen erfolgreicher sein, denen es bereits jetzt gelingt, die knappen Ressourcen für Stahltransporte und -distribution frühzeitig zu sichern und strategische Partnerschaften zu forcieren. Kooperation sei die entscheidende Zutat im Erfolgsrezept der Zukunft. Erst recht in Kriegszeiten.